Nachlese: Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis

Gesetzliche Rahmenbedingungen, Nachhaltigkeit, Leitlinien, Standards, Regulierung
Ein Dschungel an Orientierungshilfen (Folie von twentyfifty)

Der österreichische Nationale Kontaktpunkt der OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen und die Industriellenvereinigung (IV) luden zum Diskussionsabend über verantwortungsvolle Unternehmensführung. Kern der Veranstaltung war es, Orientierung im Dschungel der Vielzahl an verfügbaren internationalen Leitlinien, Standards und Regularien zu geben.

 

Etwa 50 TeilnehmerInnen wollten sich von ExpertInnen und PraktikerInnen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich Tipps und Tricks zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien und zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken holen.

Wirtschaft hat als teil der Gesellschaft Mitverantwortung

Christian Friesl, IV und Bernadette Gierlinger, BMWFW hielten in ihrer Begrüßung fest, dass Unternehmen und „die Wirtschaft“ als integraler Bestandteil von Gesellschaft auch Mitverantwortung für diese haben. Gleichzeitig stiegen die Anforderungen, die von „der Gesellschaft“ etwa in Punkto Transparenz an Unternehmen herangetragen würden. Darüber hinaus sei "eine Verschiebung von soft laws und freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft hin zu politischen und gesetzlichen Regulierungen zu beobachten." Als jüngste Beispiele gelten hier die EU-NFI-Richtlinie (Veröffentlichungspflicht für Nicht-Finanzielle Informationen) sowie deren nationale Umsetzung NaDiVeG (Nachhaltigkeits- und Diversitäts-verbesserungsgesetz). Frau Gierlinger wies weiters auf die hohe ökonomische Bedeutung von Nachhaltigkeit als Wettbewerbsfaktor und Türöffner im Exportgeschäft hin.

Nachhaltigkeit als Business Case ist nicht ausreichend

Tabea Siebertz, Deutscher Rat für Nachhaltige Entwicklung
Foto: WEITSICHT 2017

Tabea Siebertz, Expertin für nachhaltiges Wirtschaften und Sustainable Finance beim Deutscher Rat für Nachhaltige Entwicklung, stellte unternehmerische Nachhaltigkeit in einen globalen Kontext. Dabei wurde klar, wie schwierig sich die Orientierung von Unternehmen ob der großen Vielzahl an verfügbaren Leitlinien ausnimmt: von der OECD Leitlinie für multinationale Unternehmen, die seit 40 Jahren besteht und 2011 eine Frischzellenkur verpasst bekommen hat, über die Richtlinien der ILO (Internationale UN Arbeitsorganisation), den UN Global Compact, die UN Prinzipien zu Menschenrechten im Business, die ISO 26000, die Global Reporting Standards, den Modern Slavery Act in UK, nationale Aktionspläne und Strategien bis hin zu den Vereinbarungen des Pariser Gipfels 2015 und den ebenfalls 2015 verabschiedeten UN Sustainable Development Goals reicht die Palette (Anm.: und das ist nur ein kleiner Ausschnitt davon).


Frau Siebertz betonte die Fortschritte in der Umsetzung von Nachhaltigkeit durch Unternehmen – so setzten etwa immer mehr Unternehmen in Deutschland den nationalen Nachhaltigkeitskodex um – merkte gleichzeitig aber kritisch an, dass dies meistens aus einer rein ökonomischen Motivation heraus erfolge: zur Sicherstellung von Reputation (bzw. Vermeidung von diesbezüglichen Risiken), zur Steigerung des Firmenwerts, zur Erschließung neuer Märkte durch neue Produkte und Dienstleistungen für neue Zielgruppen, zum potentiell besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen. Prinzipiell sei es zwar nicht falsch, den Business Case von Nachhaltigkeit zu beachten. Langfristig gesehen reiche dies jedoch nicht aus, denn dadurch würde lediglich eine der drei Säulen von Nachhaltigkeit bedient. Vielmehr bedürfe es einer grundlegenden Wertediskussion, um Geschäftsmodelle in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren.


Der mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnete Heiz- und Kühltechnikanbieter Viessmann oder Tchibo seien Positivbeispiele, die diese neue Art des Denkens von sich aus angegangen seien. Besonders bei Tchibo, das aus dem Reputationsrisiko „Kinderarbeit im Kaffeeanbau“ heraus zu handeln begonnen habe, sei großer Mut zu transparenter Kommunikation und auch Ehrlichkeit gegenüber sich selbst zu beobachten. Es habe viele Jahre gedauert, bis das Unternehmen sich selbst und der Öffentlichkeit eingestehen konnte, dass es „keine Kinderarbeit“ beim Ausmaß seines globalen Kaffeehandels ganz einfach nicht garantieren könne – und dies daher auch nicht mehr in seine Nachhaltigkeitsberichte schreibe.

 

Dieser Einschätzung stimmte Manfred Schekulin vom BMWFW in der anschließenden Podiumsdiskussion zu. Nachhaltigkeit brauche eine breitere Herangehensweise, die Chancen seien in den Mittelpunkt zu stellen, und „Unternehmen müssen den Verlust von Gewinn in Kauf nehmen“ wenn es das Assessment von möglichen und tatsächlichen negativen Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit gebiete.

Sorgfaltspflicht muss in unternehmerische Kernfunktionen

Folie: twentyfifty
Folie: twentyfifty

Matthias Leisinger vom Beratungsunternehmen twentyfifty konzentrierte sich in seinem Beitrag auf die Implementierung von Due Diligence Prozessen zur Sicherstellung menschenrechtlicher Sorgfalts-pflichten von Unternehmen. Die größte Heraus-forderung – und gleichzeitig die größte Chance – sei die Integration von nachhaltiger Verantwortung in die Kernprozesse und -funktionen des Unter-nehmens und müsse die gesamte Wertschöpfungs-kette abdecken.


Eine Nachhaltigkeitsabteilung einzurichten sei wohl gut, aber tatsächliche Wirkung entfalte Nachhaltigkeit erst, wenn Kernaufgaben und Verantwortliche wie Finanz, Compliance, Risk Management, Controlling, etc. ebenfalls eingebunden würden: damit hätte Nachhaltigkeit ein völlig anderes Standing, würde vom Kosten- zum Chancenfaktor. Es gehe nicht darum, „neue Prozesse einzurichten, sondern zu schauen, wo und wie kann ich menschenrechtliche Sorgfaltspflichten on bestehende Prozesse integrieren.“ Dabei sei der erste Schritt – sich zu Menschenrechten zu bekennen – trivial und einfach zu erreichen. Die konkrete Umsetzung dieses Bekenntnis verwandle die zuerst erfahrene Trivialität jedoch in eine komplexe Materie. Dabei müsse jedes Unternehmen eine eigene Lösung erarbeiten und – auch hier wieder genannt – bräuchte eine neue Art des Denkens.

Regulierung oder nicht?

Christine Paschoalique, Nachhaltigkeitsverantwortliche beim weltgrößten Ziegelhersteller Wienerberger, unterstrich ebenfalls die Frage der ganzheitlichen Herangehensweise und inneren Haltung. Erst wenn es gelänge, nachhaltige Veränderung vom Inneren des Unternehmens heraus anzustoßen, käme man vom Reagieren (auf Anforderungen von außerhalb, etwa Stakeholderansprüche oder gesetzliche Regulierung) ins Agieren und damit aktive Gestalten.


Frau Paschoalique äußerte sich auch kritisch zur nationalen Umsetzung der EU-NFI-Richtlinie. Das NaDiVeG (Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz) sei schlecht ausgeformt und blockiere mehr, als es helfe, da berichtspflichtige Unternehmen wie Wienerberger manchen zeitlichen Anforderungen aus der Veröffentlichungspflicht wegen technischer Gründe nicht nachkommen könne. So seien etwa CO2-Emissionen nicht rechtzeitig durch international akzeptierte Vergleichswerte zu validieren, und auch die Überprüfung von qualitativen Kenngrößen durch den Aufsichtsrat stelle Unternehmen vor große Herausforderungen. Überhaupt plädierte sie für weniger Regulierung und mehr Anreize für Unternehmen.

 

In einer Reaktion auf diese Kritik bestätigte Frau Siebertz zwar technische und handwerkliche Probleme in der nationalen Umsetzung der NFI-Richtlinie – diese seien auch in Deutschland zu beobachten. Sie betonte jedoch, dass „Regulierung notwendig geworden [ist], weil die Märkte die Entwicklung ganz einfach verschlafen haben.“ Markus Scholz, Leiter des Instituts für Corporate Governance und Wirtschaftsethik der FH Wien der WKW, unterstütze diese Einschätzung als Teilnehmer im Publikum: Veränderung war immer dann effektiv, wenn sie durch gesetzliche Regulierung angestoßen wurde.

Fazit

Am Ende des Tages ist Nachhaltigkeit eine Frage der Werte und der Haltung, die ganzheitliches Denken und Handeln erfordert. Dabei gilt es, über den rein ökonomischen Blickwinkel hinaus Menschenrechte, gesellschaftlicher Herausforderungen und ökologische Auswirkungen ins Kerngeschäft zu integrieren. Dies gelingt dann, wenn Nachhaltigkeit als Thema in allen Prozessen und Funktionen des Unternehmens und entlang der gesamten Wertschöpfungskette Beachtung findet. Die Vielzahl an internationalen Richtlinien und Standards scheint dabei aber mehr hinderlich als nützlich zu sein – Unternehmen brauchen verstärkt Hilfe zur Orientierung und Umsetzung. Von politischer Seite ist ein Mix an dynamischer Regulierung und Anreizen erforderlich, um nicht-nachhaltige Praktiken abzustellen und die Nachhaltigkeitspioniere unter den Unternehmen entsprechend zu fördern.