Nachhaltigkeit geht uns alle an

Fotos und Collage (c) WEITSICHT 2017
Fotos und Collage (c) WEITSICHT 2017

 

Ich war im November viel unterwegs – Konferenzen, Podiumsdiskussionen, Hintergrundgespräche. Zu Themen der Nachhaltigkeit, eh klar, aber auch zu vielen anderen Trends und Hypes (z.B. Digitalisierung, Blockchain, Künstliche Intelligenz).

 

Viele dieser "anderen" Veranstaltungen ließen mich verwundert, verzweifelt und manchmal auch richtig wütend zurück. Weil ich nicht verstehen kann, wie wenig dort aktuelle gesellschaftliche und ökologische Veränderungen, anstehende Herausforderungen und Probleme  vorkommen.

Sowohl die meisten ExpertInnen als auch TeilnehmerInnen scheinen bei diesen Themen in einer Parallelwelt unterwegs zu sein, in der es den Klimawandel nicht gibt oder sie zumindest nicht berührt. Ihre Erwartungen bzgl. der Heilsbotschaften dieser Technologien basieren, so scheint mir, weitgehend auf der Extrapolation des Status quo.

 

Klimawandel? Steigender Meeresspiegel? Ressourcenkriege? Energieknappheit? Zerstörte Ökosysteme? Kommen nicht vor.


Aber, müssen wohl auch nicht. Denn es gibt eine absolut einleuchtende Antwort auf die Frage, ob “ihre Überlegung oder Prognose [Anm.: etwa zur Entwicklung von Digitalisierung] auch dann noch stimmt, wenn wir einbeziehen, welche ökologischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Klimawandel mit sich bringt?”*

 

“Schauen sie, Nachhaltigkeit ist ja nicht unser Kerngeschäft.”

 

Ach so, ich vergaß. Gesetze müssen ja auch nur von der Rechtsabteilung eingehalten werden, nicht wahr?!**


Angesichts der gravierenden Auswirkungen, die bevorstehen – selbst wenn es gelingen sollte, die Pariser Klimaziele einzuhalten – ist das zumindest ziemlich fragwürdiges Verhalten. Wie die Zukunft aussehen kann und wahrscheinlich aussehen wird, wenn wir nicht JETZT (und damit meine ich: Jetzt, hier und heute) einen radikalen Kurswechsel einleiten (wie wenig Zeit noch bleibt zeigt sehr anschaulich die CO2-Uhr des Berliner Mercator Instituts), gibt’s übrigens zum Nachlesen. Etwa in Form des - zwar fiktiven, aber detailliert recherchierten - „historischen“ Berichts Vom Ende der Welt von Naomi Oreskes und Erik M. Conway oder literarisch verarbeitet in Omar El Akkads Roman American War.


Wer glaubt, es wird schon nicht so schlimm werden, sollte sich folgende Tatsache vor Augen führen: bisher lagen entgegen anderslautender Behauptungen die Prognosen oftmals unter der tatsächlichen Entwicklung, d.h. waren viel zu konservativ in der Einschätzung der Entwicklung und der zugrunde liegenden Parameter. Die Veränderungen traten und treten schneller und in größerem Ausmaß ein, als bisher berechnet und vorausgesagt. Alle relevanten Kennzahlen schnellen weiterhin nach oben, wie etwa diese Warnung (Originaltext in Englisch; Zeitungsbericht von DerStandard hier) von mehr als 15.000 WissenschaftlerInnen eindringlich zeigt.


Dazu nur zwei Zahlen.

 

Zahl 1: bis Mitte des Jahrhunderts werden konservativ gerechnet 200 Mio. Klimaflüchtlinge erwartet (anders gesagt: sehr wahrscheinlich ist diese Zahl viel zu niedrig, wenn wir die bisherigen, regelmäßigen Unterschätzungen betrachten). Vergleich mit heute: laut Bericht des WEF zählen weltweit 65 Mio. Menschen als sogenannte "Displaced Persons". Und wir stöhnen schon ob dieser Zahlen, wie viel uns denn nicht weg genommen würde, und dass sich das alles doch nicht mehr ausginge.

 

Zahl 2: Der Meeresspiegel wird steigen. Um ca. 1 Meter, wenn das Pariser +2°-Ziel erreicht wird. Eher mehr, weil wir gerade auf dem +4°-Pfad unterwegs sind. Über den einen Meter fährt im Übrigen die Eisenbahn drüber.*** Mutter Natur gibt uns da keinerlei Verhandlungsspielraum mehr. Anders gesagt: Urlaub in Florida sollten sie eher bald machen, weil um 2070 herum wird’s dort wohl nur mehr Unterwasserurlaub geben.

 

Nun ja, alles halb so schlimm, denn “die Menschen werden sich schon anpassen”, nicht wahr? Es werden halt einige hundert Millionen oder sogar ein bis zwei Milliarden weniger sein, sie werden halt nicht mehr so luxuriös wie wir heute leben können (aber hej, gute Nachricht: das kann eh auch heute nur eine Minderheit von 1,5 Mrd „Westlern“). Ja mei, sie werden’s dann halt auch gar nicht anders kennen – also was soll ihnen schon fehlen, was sollen sie schon vermissen?


Dabei wissen wir, wie’s geht.****

 

Vielleicht (noch) nicht in jedem Detail, aber im Großen und Ganzen sehr wohl. Wir wissen, dass wir ganz einfach viel zu viel verbrauchen. Jedes Jahr ein neues Smartphone, Fast Fashion im Monatsrhythmus, ein paar mal im Jahr übers Wochenende nach Malle, Fleischberge am Teller. Das geht nicht. Ganz einfach. Wir wissen auch, dass es nicht am Können liegt, sondern am Wollen – das konnte ich am eigenen Leib erfahren, als Teilnehmer an einer Klimasimulation, die von der FH des BFI Wien organisiert wurde (Danke für diesen tollen Tag!).

 

Ja, vieles ist ungewiß. Ja, wir wissen viel noch nicht. Dennoch - was wir bereits wissen, ist erdrückend.

Und eines weiß ich ganz genau: ich will für meinen Sohn eine gute Zukunft. Eine, in der er auch noch gut leben kann.

Und sie?

 

*) Diese Frage wurde ursprünglich von Daniela Becker im Rahmen eines Kommentars zu Clive Hamiltons Text "The great climate silence: we are on the edge of the abyss but we ignore it" gestellt.

**) Vergleich ausgeborgt von Stefan Schaltegger, Leiter des MBA Sustainability Management an der Leuphana Universität Lüneburg.

***) Verfügbare IPCC-Daten aus 2013 gehen noch von einem Anstieg von 1 Meter aus "wenn der Ausstoß an Treibhausgasen nicht gebremst wird", wie klimafakten.de schreibt; allerdings zeigen neuere Modelle, etwa das World Energy Simulationstool der MIT Sloan School of Management, deutlich höhere Prognosen.

****) Beispiele: Ergebnisse einer Studie der Universität Lund, Schweden zu den größten Hebelwirkungen von Individuen; Buch des Club of Rome mit Fallstudien und Vorschlägen für neue Politiken (dt, en); Lösungen, die auf der Plattform Sustainia100 vorgestellt werden.

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