Wenn es darum geht, jenen Menschen, die auf den durch die Menschheit massiv beschleunigten Klimawandel hinweisen, den argumentativen Boden wegzuziehen, um ihre (wissenschaftlichen) Erkenntnisse und Warnungen zu diskreditieren, kommt oft das Schlagwort „Komplexität“ ins Spiel. Die Atmosphäre und das Klima seien doch viel zu komplex, um den menschlichen Einfluss berechnen, geschweige denn beweisen zu können.
Mit Komplexität das Maul stopfen
Tatsächlich ist "die Erde ein komplexes System mit vielen vernetzten Teilsystemen" (1). Die Stoßrichtung der Kritiker ist dabei auch klar: der Mensch kann nix dafür, das Klima hat sich schon immer gewandelt. Daher brauchen wir unser (klimaschädigendes) Verhalten auch nicht zu ändern, wir machen weiter wie bisher, alles happy. Nun ja, fast alles, weil die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen mittlerweile auch in den gemäßigten Breiten der Welt angekommen und deutlich spürbar sind.
Spannend wird’s nun aber, wenn Technologie in Form von Geo-Engineering ins Spiel kommt, um die Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels zu bekämpfen. Da werden Ideen gewälzt und Konzepte präsentiert, wie mit globalem Ausbringen von Schwefelteilchen in die Stratosphäre der Sonnenenergieeintrag reduziert werden soll (d.h. dann SRM: Solar Radiation Management); wie durch Absaugen von CO2 und nachfolgendem Einlagern in unterirdischen Speichern die Treibhausgaskonzentration gesenkt werden soll (CCS: Carbondioxide Capture and Storage); oder wie durch die „Düngung“ der Ozeane mittels Ausbringen von Eisenspänen oder anderen Nährstoffen das Wachstum von Plankton angeregt werden soll, welches dann vermehrt CO2 aufnehmen würde, um anschließend harmlos zu Boden zu sinken.
Geoengineering komplex? Wurscht!
Und siehe da: plötzlich ist die Komplexität, die vorher so unbeherrschbar war, kein Thema mehr. Plötzlich ist sie egal bzw. kann „gemanaged“ werden, so dass die Eingriffe von Menschen keine „vielfältigen, oft unvorhergesehenen und unerwünschten Nebenwirkungen haben“ (2), die das empfindliche Gleichgewicht (zer-)stören würden. Warum? Weil „technologischen Innovationen [eine deutlich größere] Wirkungsmacht unterstellt wird“ (3) als sogenannten weicheren sozialen Innovationen, welche in der Regel hinsichtlich ihrer Veränderungskraft deutlich unterschätzt werden.
Abgesehen davon, dass alle Versuche von Geo-Engineering global abgestimmt erfolgen (wie hoch sind die Chancen dafür, wenn sich die Nationen der Welt von den 1970ern bis heute nicht auf klare
Maßnahmen zum Klimaschutz einigen konnten?), über Jahrzehnte laufen und vielfältigste Wechselwirkungen für diesen langen Zeitraum antizipieren müssten – sie blieben doch nur bloße Symptomkur.
Kulturwandel statt Techno-Opportunismus
Unbestritten sind kurz- bis mittelfristige Anpassungsmaßnahmen wichtig und erforderlich, wofür technische Entwicklungen nützlich sein können.
Gleichzeitig und vor allem braucht es jedoch einen Kulturwandel, der massive Verhaltensänderungen und letzlich die Ablösung der vorherrschenden und so ziemlich alle Lebensbereiche beherrschenden Produktions- und Konsummuster ermöglicht. „Zukunftsfähigkeit ist eine Frage der Kultur“, wie der Titel von Rita Trattniggs und Thomas Haderlaps Dissertation lautet: „Der kulturelle Wandel erfordert Dialogfähigkeit, Prozesskompetenz, Experimentierfreude und Pioniergeist, ein reflektiertes Selbst- und Weltbewusstsein, einen anderen Umgang mit Grenzen und Widersprüchen sowie Sinn für Beziehungen und Zusammenhänge.“
Kurz gesagt: soziale Innovationen.
PS: Weiterführende Infos zu den Ideen und angedachten Methoden von Geo-Engineering sowie einer kritischen Auseinandersetzung damit gibt es z.B. auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung.
(1) Iris Pufé: Nachhaltigkeit. 3. Auflage 2017, S. 22
(2) ebenda, S. 22
(3) ebenda, S. 71