20 Jahre Nachhaltigkeitsbilanzierung - ein Reisebericht.

Lüneburg, EMAN-Konferenz, What has been achieved?
Fotos: Michael Bauer-Leeb, EMAN-Programm-Folder

Das Environmental and Sustainability Management Accounting Network (EMAN) feiert heuer sein 20-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass stellte die jährlich stattfindende EMAN-Konferenz, von 21.-23. September an der wunderbaren Leuphana Universität im malerischen Lüneburg, die Frage „What has been achieved?“

 

Gute Frage. Was wurde denn erreicht? Und! Was wurde nicht erreicht?

 

Das wollten wir natürlich wissen und deshalb hat sich Michael auf den Weg gemacht. Ganz klimaschonend mit der Bahn.

Ankunft in Lüneburg, es ist schon Abend und echt wirklich finster. Heute kein Programm mehr, aber im Zug war Zeit zum Nachdenken. Was erwartet mich, welche Erkenntnisse werde ich mit nach Hause nehmen? Mich interessiert vor allem, wie wir – damit meine ich die CSR-/Nachhaltigkeitscommunity – das Ding in Unternehmen endlich ordentlich groß und prominent machen können. Denn einerseits hatte ich in den letzten 8 Jahren, in denen ich mich nun intensiv mit Nachhaltigkeit und CSR auseinandersetze, eine echt steile Lern- und Erfahrungskurve. Aber auch eine echt steile Enttäuschungs- und Frustrationskurve. Die CSR-Community wächst zwar kontinuierlich, aber im Vergleich zum großen Rest ist sie weiterhin winzig. Ab ins Hotel, gute Nacht.

 

Auf an die Uni! Erster Eindruck – wunderschöner Campus, Backsteingebäude, viel Glas, viel Grün, ein herrlicher Spätsommertag mit viel Sonne und Wärme. Die Konferenz ist gut besucht, ich schätze 250 TeilnehmerInnen aus der ganzen Welt. Hauptsächlich Wissenschaftler, aber auch Praktiker.

Schaltegger, Leuphana, Centre for Sustainable Management, Keynote, EMAN 2016
Keynote Schaltegger: Erreichtes und Nicht-Erreichtes

Stefan Schaltegger, Nachhaltigkeitsprofessor an der Leuphana und als solcher unser Gastgeber, eröffnet die Konferenz mit einer Antwort auf die Titelfrage.

Es wurde viel erreicht in 20 Jahren: eine stolze und weiter wachsende Zahl von bisher mehr als 800 Publikationen zum Thema, weltweite Entwicklung und Verbreitung von neuen Mess- und Bewertungsansätzen, eine wachsende Zahl von Unternehmen, die ganzheitlich agieren, neue Ausbildungsprogramme, mehr Pluralität. Schöne Ergebnisse. Aber leider nicht gut genug, denn gleichzeitig steigen weiterhin alle kritischen Indikatoren an. Wir erkennen das sehr gut am Earth Overshoot Day, der 1987 noch am 19. Dezember war und heuer, fast 30 Jahre später, bereits am 8. August begangen wurde.


Woran liegt das? Warum passiert nicht mehr bzw. warum machen wir weiter wie bisher, obwohl alle Fakten auf dem Tisch liegen? Was hindert uns am konsequenten Handeln, was blockiert die Veränderung?
Die nächsten eineinhalb Tage begebe ich mich auf die Suche nach Antworten.

Antwort 1: Perspektivenwechsel

Da hauptsächlich Wissenschaftler im Publikum sitzen und Wissenschaftler Keynotes halten, erstmal eine wissenschaftliche Selbst-Analyse: die Wissenschaft (in diesem Fall konkret jene rund um das EMAN-Netzwerk) verharre noch immer zu stark in der beschreibenden Problemanalyse, anstatt sich auf den Weg der Lösungsentwicklung zu machen, kritisieren etwa Schaltegger und auch der Finne Teemu Malmi, der an der Aalto Universität Helsinki u.a. über Managementstrukturen und Anreizsysteme für Nachhaltigkeit forscht. Wir bräuchten also mehr Lösungen, die im Konkreten – in Unternehmen – ausprobiert, evaluiert und weiter entwickelt werden könnten.


Darüber hinaus fehle das große gemeinsame Ziel, die Utopie, die Vision einer guten Welt für alle. Wir hielten uns im Gegenteil zu sehr mit Technikalitäten auf, meint etwa Nihel Chabrak, Programmdirektorin des UAEU Science & Innovation Park. Diese Sicht ergänzt Mathis Wackernagel, Mitgründer und eines der Masterminds hinter dem globalen ökologischen Fußabdruck-Netzwerk. Er denke, die notwendige Veränderung müsse stärker mit positiven Emotionen besetzt werden, derzeit drehe sich alles nur um Verzicht. Da ist wohl was dran. Ich erinnere mich z.B. an Klemens Riegler-Picker vom BMWFW, der am letzten CSR-Tag festgestellt hat, es gebe aktuell keine Emotion für SDGs, CSR oder Nachhaltigkeit in der österreichischen Politik.


Aber! Dann schneien jeden Tag gute Nachrichten über neue Lösungen in meine Mailbox. Mutmachereis Mut-Map, Sustainias 4.500 Lösungen, Futurzweis Geschichten des Glingens, Zukunftsrezepte, das Goethe-Institut mit dem Future Perfect Projekt, Tomorrow – der Film, um nur einige zu nennen.


Die Welt IST voller Lösungen! Der Welt FEHLEN Lösungen?

Antwort 2: Sprachprobleme

Nicht unbedingt ein Widerspruch. Sondern vielleicht eher ein Sprach- und damit ein Verständigungs- und Glaubwürdigkeitsproblem! So meint Rodney Irwin, Direktor des Redefining Value Projekts vom WBCSD (World Business Council for Sustainable Development), es herrsche eine Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis, die Lösungen kämen nicht schnell genug und ausreichend erklärt in den Unternehmen an. Lösungen würden nicht in der Sprache der Entscheidenden präsentiert.


Eine möglicherweise treffende Analyse, wenn ich z.B. Erik Bichard zuhöre. Eine Woche vor der Konferenz traf ich ihn an der Wiener Wirtschaftsuni zum Thema Sustainable Return on Investment. Er nutzt dieses Konzept, um Umwelt und Gesellschaft monetär bewertbar und so für Finanzer/innen verstehbar zu machen. Und obwohl er sich der damit verbundenen Risiken, etwa eine durchgängige in-Wert-Setzung aller Lebensbereiche und damit Festigung der ökonomischen Hegemonie, bewusst ist, ist er überzeugt, dies sei der richtige Weg.

 

Warum? Darum:

Darstellung adaptiert, nach Erik Bichard, Präsentation 14.9.16
Darstellung adaptiert, nach Erik Bichard, Präsentation 14.9.16
Darstellung adaptiert, nach Erik Bichard, Präsentation 14.9.16
Darstellung adaptiert, nach Erik Bichard, Präsentation 14.9.16

Schaltegger, EMAN 2016, Keynote, Corporate Support for Sustainability
Keynote Schaltegger: UnterstützerInnen in Unternehmen. Letzter Platz: 7,3% Finance/Accounting

Teemu Malmi unterstützt diese Sichtweise. Denn trotz aller Fortschritte zu CSR und Nachhaltigkeit in Unternehmen, worum geht’s denn am Ende des Tages vor allem? Um Budgets, Profitabilität, Kosten, Effizienz, Anreizsysteme.

Fügen wir noch ein weiteres Stückchen dieses Puzzles hinzu. Wer steht (neben CEO, Chefchef/in, Big Boss/in) an vorderster Stelle, wenn es darum geht, Projekte (nicht) zu ermöglichen? Genau, der/die Finanzchef/in. Und wer ist an letzter Stelle, wenn es um die Unterstützung von Nachhaltigkeit in Unternehmen geht? Wieder gewonnen: der/die Finanzchef/in.

Also: Bewerten wir und hängen wir die finanzielle Darstellung ökologischer und soziale Aspekte als Karotte vor der Finanzer/innens Nasen, um die Debatte und das Denken auch bei jenen in Gang zu bringen.

 

Wie aber sollten wir dies machen? Dafür bringt Mathis Wackernagel drei magische Ingredienzien mit. Um Information rüberzubringen, die eine Transformation auslösen sollen, müssen diese 1) halbwegs akkurat 2) relevant und 3) ermächtigend sein. Schau ma mal, welche Situation wir heute dazu vorfinden.

 

  1. Halbwegs akkurate Daten – bekommt 1 von 3 Punkten.
    Es gibt mittlerweile eine gute Zahl an Methoden der Bewertung. Viele davon benutzen Krücken: subjektive Annahmen und Schätzungen, statistische Näherungen oder auch Koeffizienten. In Summe bringen diese Berechnungen also keine exakten Ergebnisse, aber solche in ausreichend genauen Größenordnungen, um damit informierte Entscheidungen treffen zu können. Um mit Stefan Schaltegger zu sprechen, „diese Methoden entwickeln sich erst zu voller Blüte. Ja, sie sind nicht perfekt, aber wenigstens haben wir heute etwas wo wir vorher gar nichts hatten.“
    Uuuuund! Lassen wir doch auch bei den (angeblich ach so) objektiven Finanzkennzahlen mal die Kirche im Dorf. Die sind doch (zumindest zum Teil) genauso subjektiv. Oder glaubt irgendwer ernsthaft, dass der Wert einer (imaginären) Marke, von Patenten, geistigem Eigentum, usw. zweifelsfrei objektiv ist? Wenn ich da zurückdenke an so manche Finance-Vorlesung im Studium, als wir versucht haben, Aktienpreise zu berechnen und einzuschätzen, ob sie im Vergleich zum Markt über- oder unterbewertet ist... Wir haben dazu oft genug genauso Näherungen und Koeffizienten genutzt, weil keine anderen Daten verfügbar waren.

  2. Relevanz – 3 von 3 Punkten.
    40 Jahre Klimaforschung brauchen keine weitere Erläuterung.

  3. Ermächtigend (empowering) – 0 Punkte.
    Die Erläuterung dazu gibt es in Antwort 3.

Antwort 3: Haltung, Mensch!

(Unternehmens-)Kultur – Haltung, Einstellung, Werte, Symbole, Beziehungen, Umgang miteinander – ist genauso wichtig wie Fakten und Inhalte. Malmi erläutert, es gehe neben den harten Zahlen eben auch um Unternehmenspolitik, Interessen, Clanbildung. Die Motivation zur Veränderung unseres Verhalten kommt nur zu einem geringen Teil aus der Erkenntnis von Fakten, viel stärker wird dies über die emotionale Ebene gesteuert, über Beziehungen, über die eigene Betroffenheit. Diese Dimensionen bedienen wir offenbar noch viel zu wenig. Es reicht nicht, Daten, Zahlen, Fakten zu präsentieren. Wir müssen den Entscheidenden auch klar machen, in welcher Weise sie davon betroffen sind.

Schaltegger, EMAN 2016, Management Controls, Gaps in Cultural Controls
Keynote Schaltegger: Forschungs- und Wissenlücken auf unternehmenskultureller Ebene (in rot)

Im Gespräch mit Axel Franck und Katharina Beck von Accenture Strategy bestätigt sich dies für mich – die Top-Führungsebene habe umfassendes Wissen um die bevorstehenden Herausforderungen und Probleme, es herrsche Konsens darüber, dass Schritte zu setzen seien. Aber! Um CSR/Nachhaltigkeit erfolgreich und dauerhaft im Unternehmen zu verankern, muss auf allen Ebenen der Hierarchie sowohl inhaltlich (Strategie, Prozesse) als auch kulturell (Werte und Verhalten) vorgegangen werden. Die jeweilige Betroffenheit im Sinne von Risiko aber auch von Chancen muss klar gemacht werden. Gleichzeitig stellt Schaltegger dazu fest: hier gibt’s Wissenslücken in der Forschung. Vielleicht ist Thomas Haderlapps und Rita Trattniggs Buch „Zukunftsfähigkeit ist eine Frage der Kultur“ ein Anhaltspunkt. Ich muss da mal wieder reinlesen...

Zwischenbilanz

Wir brauchen einen Perspektivenwechsel hin zu praktikablen Lösungen, die wir in der Sprache der Wirtschaft vermitteln und sie mit positiven Emotionen besetzen müssen. Easy cheesy!? Der Plan ist also folgender: wir gehen in die Unternehmen, reden mit den Führungskräften (die teilweise seit Jahrzehnten tun, was sie tun) und bringen sie dazu, business as usual von jetzt auf gleich aufzugeben.


Hm. Ob das wirklich so einfach ist? Versuchen wir das nicht schon? Vielleicht gelingt es bei jenen, die ich jetzt mal in die Kategorie „Aware, but confused“ einordnen würde. Das sind Menschen, die wissen, sie müssen was tun, aber sie sind ob der Breite und Tiefe des Themas schlicht überfordert, wo und wie sie überhaupt anfangen könnten. Ja, da gibt’s eine Chance. Aber wie viele sind das denn? Ich befürchte, nicht so viele, um eine kritische Masse an Veränderung in der Unternehmenswelt zu erreichen. Mag völlig falsch sein, ich verweise da jetzt einfach an meine eingangs erwähnte Enttäuschungs- und Frustrationskurve und freue mich auf der Leser/innen Korrekturen.


Des Arguments willen nehmen wir aber mal an, das Mindset der breiten Masse an Entscheidungsträger/innen ist nicht schnell und ausreichend genug veränderbar, um den notwendigen Wandel auszulösen. Zur Stärkung des Arguments fällt mir übrigens erstens der alte Sinnspruch von Hans und Hänschen ein und zweitens blicke ich auf 40 Jahre Klimaforschung, fast 30 Jahre Brundtland-Bericht und 21 Klimagipfel zurück und denke mir bei den erzielten Ergebnissen – too little, too late.

Antwort 4: Geduld & Sustainatives

Was also tun? Wenn’s die Alten nicht richten, dann müssen halt die jungen Wilden ans Ruder. Wir nennen sie Sustainatives. Jene, die Nachhaltigkeit sozusagen mit der Nabelschnur aufnehmen (analog zu den Digital Natives, die schon mit 3 ½ Papas Wischhandy bedienen können – eigene Erfahrung).


Da passiert auch schon sehr, sehr viel: wir beobachten neue Arten des Handelns mit einem breiteren, ganzheitlicheren Verständnis von unternehmerischer Wertschöpfung und Wohlstandsverteilung (z.B. Social Entrepreneure, WBCSDs „Redefining Value“-Projekt, Adrian Zicaris Präsentation des Value Added Statements); neue Organisationsformen (z.B. Tele Haase); oder auch Carol Adams Forschungsergebnisse eines sich langsam wandelnden Paradigmas, was denn eigentlich gute Geschäfte sind. Sinngemäß: Profit durch ganzheitliche Verantwortung, anstatt Profitmaximierung mit allen damit verbundenen auch negativen Konsequenzen, um hinterher einen Teil des Profits zur Wiedergutmachung des Schadens zu verwenden.

Fazit

Was nehme ich mit nach Hause? Viele Fortschritte, viele Lösungsansätze, aber auch die Erkenntnis, dass noch viel Arbeit vor mir liegt. Ich habe ein Rezept im Gepäck, mit dem ich die harten und dicken Bretter der Veränderungsresistenz bearbeiten werde. Aber ich weiß auch, dass dies nicht genügen wird. Ich muss mich in Geduld üben, bis genug Sustainatives den Kurs bestimmen. Aber ich kann vielleicht der einen oder dem anderen mit meinen bescheidenen Möglichkeiten den Rücken stärken.

 

In diesem Sinne möchte ich mit einem Ausspruch eines Unternehmensberaters schließen, der auf der Konferenz (sinngemäß) gesagt hat: es ist unglaublich, was geht, wenn es zu einem Generationenwechsel an der Spitze kommt. Da machen Sie dann plötzlich Sachen, an denen Sie sich 20 Jahre lang die Zähne ausgebissen haben, von heute auf morgen.


Es bleibt spannend.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0