
Was TTIP für kleine und mittlere Unternehmen und Landwirte bedeutet und wessen Interessen hinter dem geplanten Freihandelsabkommen stehen, erklärten die Ökonomin Alexandra Strickner von Attac und
die Europaabgeordneten Michel Reimon (Grüne) und Karin Kadenbach (SPÖ) am 21. Mai bei einer Informationsveranstaltung in Korneuburg.
Wer den Beteuerungen der VerhandlerInnen und des Wirtschaftsministers glaubt, dass die geplante Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)
Segen für die Wirtschaft bringe, der sei gewarnt: alle bisher vorgebrachten Argumente und bekannt gewordenen Verhandlungsergebnisse wurden durch die TeilnehmerInnen am Podium schnell
entkräftet.
Das Wichtigste vorweg: die tatsächlich bestehenden Handelshemmnisse zwischen der EU und den USA wären recht unaufwändig in bilateralen Abkommen beseitigbar. Zölle gibt es schon jetzt fast keine
mehr, unterschiedliche Normen etwa für die Autozulieferindustrie müssten nicht durch ein umfassendes Handels- und Investitionsschutzabkommen geregelt werden.
Die Zahlen zum Wirtschaftswachstum sind selbst in von der EU in
Auftrag gegebenen Studien äußerst gering und können angesichts der derzeitigen unsicheren wirtschaftlichen Situation keinesfalls langfristig vorausgesagt werden. Andere Freihandelsabkommen
haben massiv zu einer Verringerung der Jobs beigetragen – nicht nur diesseits des Atlantiks. Das Argument der neuen Arbeitsplätzen wird auch gerne angeführt, allerdings vernimmt man nichts über
„zusätzliche“ Arbeitsplätze – KritikerInnen befürchten eine massive Zunahme an Arbeitsplätzen im Billiglohnsektor.
Wo liegt jetzt also der „Segen“ für die heimischen und europäischen Unternehmen – europaweit immerhin 99,8% KMU (0 - 249 Beschäftigte)?
Die angestrebte Anerkennung bedeutet, dass ein US-amerikanisches Unternehmen seine Ware - etwa das vielzitierte chlorgereinigte Huhn - auf den europäischen Markt bringen kann. Das ist
den heimischen Unternehmen ja zum Glück (noch) nicht erlaubt, da wir in Europa im Lebensmittelbereich viel höhere Standards haben. Der Preis für so ein „Chlorhuhn“ wird aber vermutlich trotz
Transport erheblich niedriger sein als ein Henderl aus heimischer Batterie – ganz zu schweigen vom Freilandhuhn. Was also werden die KonsumentInnen früher oder später kaufen? Das billigere Huhn!
Und das soll gut für die heimischen Landwirte sein? Und gut für die Umwelt? Gut für die Gesundheit?
Anderes Beispiel gefällig? Ein österreichisches Produktionsunternehmen mit - sagen wir - 100 MitarbeiterInnen konkurriert unter TTIP mit einem US-Unternehmen, das kaum
ArbeitnehmerInnenschutzgesetze einhalten muss - wer kann also billiger produzieren?
Folgende große Sektoren können genannt werden, die wirklich Interesse an diesem Abkommen und dem Abbau sogenannter „Nicht-tarifärer
Handelshemmnisse“ haben:
- US-Banken & Versicherungen: diese freuen sich über die in Europa laschere Regulierung im Finanzsektor
- Energie: billigere, durch extrem umweltschädigendes Fracking in den USA gewonnene Gas- und Ölimporte kämen hauptsächlich der Großindustrie zu Gute
- Autoindustrie: durch den „Buy American Act“ ist die öffentliche Beschaffung in den USA bisher auf US Unternehmen beschränkt. Dieser Schutz würde mit TTIP enden (der Großteil der österreichischen Exporte entfällt auf die Produktgruppe Fahrzeuge/Maschinen).
- Im Abtausch dafür würde der US-Agrarindustrie der europäische Markt eröffnet.
Ca. 70% des österreichischen Exports gehen in die EU-Mitgliedsstaaten, nur 8,6% der gesamten Produktexporte nach Amerika (gesamt) , auf die USA entfallen also nur einige wenige Prozent (Quelle:
Statistik Austria). In den Genuss der Exporterleichterungen kommen laut Attac von den 303.000 österreichischen KMU etwa 1.800 exportierende Betriebe – über die Exportrisiken, denen ein
veränderter EU-Binnenmarkt dann gegenüber stehen wird, spricht man lieber nicht.
Ja, und dann noch zu dem, mittlerweile vom EU Parlament angenommenen, „reformierten“ Investitionsschutzabkommen ISDS: dieses soll Investoren vor finanziellen Einbußen durch geänderte Gesetze schützen. Was zur Folge hätte – und teilweise schon hat – dass
Gesetzesänderungen erst gar nicht beschlossen werden, sozusagen in vorauseilendem Gehorsam. Oder um millionenschwere Ausgleichszahlungen vom Staat an Investoren zu verhindern. Wohlgemerkt, auch
hier gilt, dass etwa eine US-Firma den Staat Österreich vor ein Schiedsgericht zitieren könnte, weil ein neues Umweltschutzgesetz erlassen wurde – das selbe Recht würde einem österreichischen
Investor in Österreich allerdings nicht zustehen.
Demokratiepolitisch ist das Einfrieren neuer Gesetze ein Desaster! Denn das bedeutet nicht nur keine Verbesserung von Standards, sondern ein Absenken derselben, auf längere Sicht gesehen:
europäische KMU werden dem Druck (siehe oben) nicht standhalten und über die Kammern weitere Deregulierungen und Abbau von Umweltschutz-, Gesundheits-, ArbeitnehmerInnenschutzgesetze und anderer
Auflagen drängen.
„Diese Art der Wirtschaftspolitik ist nicht zukunftsfähig!“, postulierte Alexandra Strickner von Attac und ich kann ihr nur zustimmen. Billiges Gas und Erdöl, Auto- und Finanzindustrie als
Profiteure des Abkommens? Wo bitte bleibt da der Schutz für die Gesellschaft, die Umwelt, die ArbeitnehmerInnen, die kleinen und mittleren Unternehmen? Unser Steuergeld für Ausgleichszahlungen an
Investoren? Klingt zu zynisch in Zeiten wachsender Ungleichverteilung, schmelzender Polkappen und ausufernder Profitorientierung.
„Nur Druck von außen kann im EU-Parlament TTIP verhindern helfen!“ betonte der Grüne Europaabgeordnete und TTIP-Leaker Michel Reimon.
UnternehmerInnen und LandwirtInnen, wehrt Euch gegen TTIP - zum Beispiel so, wie das SONNENTOR-Chef Johannes Gutmann bei der diesjährigen TRIGOS-Preisverleihung tat!
Fordert eine Handelspolitik, die sich an den Bedürfnissen verantwortungsvoller, integrer Unternehmen und der Menschen dahinter orientiert. Menschenrechte, menschenwürdige Arbeit, soziale und
ökologische Ziele sind nicht verhandelbar! Werdet VorreiterInnen einer zukunftsfähigen Wirtschaft!
Kommentar schreiben